Aleviten glauben an den einen und einzigen Gott (Allah/Hak). Gott ist für die Aleviten der Schöpfer, der Gerechte, der Allgegenwärtige und der Weise und lässt zugleich alle Lebewesen an sich Anteil haben. Diese Aufzählung der Eigenschaften Gottes ist nicht vollständig. Nach alevitischem Glauben ist es für Menschen unmöglich, den vollen Umfang der göttlichen Wahrheit zu erfassen, geschweige denn zu beschreiben. Auch unter Einsatz aller ihrer Möglichkeiten gelingt es der menschlichen Vernunft nicht, die göttliche Wahrheit in ihrer Vollkommenheit zu verstehen oder gar zu erklären.

Allah hat alles geschaffen, was existiert. Nach dem Glauben der Aleviten offenbart Gott durch die Schöpfung sein Geheimnis. Die Aleviten bekennen sich zu Gott als Schöpfer und sprechen von einer liebevollen Beziehung zwischen Gott und den Menschen.

Aleviten glauben an den Propheten Muhammet als den Gesandten Gottes sowie an den Weisen Ali als den Auserwählten Gottes und drücken dies in ihrem Glaubensbekenntnis aus:

Es gibt einen Gott (Hak/Allah), Muhammet ist sein Prophet und Ali sein Auserwählter/ Freund“.

Aleviten verwenden dieses Glaubensbekenntnis in einer Kurzform: „Ya Allah, ya Muhammed, ya Ali“.

Das alevitische Glaubensbekenntnis beinhaltet vier konkrete Aussagen:

  1. Glauben an Gott: Es gibt einen Gott: Aleviten glauben nur an einen Gott. Sie bezeichnen Gott als Tanrı, Allah, Hu, Hak, Hüda, Şah, Ulu oder Gerçek/Wahrheit. Gott ist überall zu fühlen und zu sehen. Göttlichkeit ist überall vorhanden. Der große Mystiker Yunus Emre formulierte diesen Glauben folgendermaßen: „Wohin ich schaue, sehe ich Gott. Die Göttlichkeit existiert in allem, weil alles von Gott kommt“. Im Buch Buyruk steht dazu unter ‚Liebe Gottes’: „Gott erscheint den Gläubigen unter sieben verschiedenen Gesichtern.“ Hier wird der Glaube ausgedrückt, dass Gott in großer Vielfalt allgegenwärtig existent ist.
  1. Glauben an Muhammet als den Propheten Gottes: Gott vermittelte den Menschen die Gottesbotschaft. Das Buch Buyruk formuliert den Empfang der Gottesbotschaft an Muhammet wie folgt: ‚Muhammet erreichte die höchste Stufe des Himmels. Dort begegnete er seinem Freund. Bei dieser Begegnung wurden 90.000 Worte ausgesprochen. 30.000 dieser Worte wurden Muhammet offenbart und sie bilden Recht und Ordnung. Die übrigen 60 000 Worte wurden Ali als Geheimlehre offenbart.“
  1. Glauben an Ali als den Auserwählten Gottes. Ali ist sein Auserwählter, sein Heiliger. Er lebte heilig und zeigte den Menschen den Weg zu Gott. Aleviten glauben, wie oben erwähnt, dass Ali Träger der Gottesbotschaft war und diese auch verkörperte. Die oben erwähnte Geheimlehre (sır) wurde von ihm weiterverarbeitet, sodass er dadurch zu seiner menschlichen Vollkommenheit und Vorbildlichkeit kam.
  1. Glauben an die Einheit von Hak-Muhammet-Ali. Sie werden zusammen an- und ausgesprochen und in gleicher Weise angebetet. Nach Auffassung der Aleviten gehören Muhammet und Ali zum Licht Gottes, das unser Universum seit seiner Schöpfung erhellt. Aleviten glauben, dass dieses Licht uns alle schützt, uns allen notwendiges Wissen vermittelt und uns dessen bewusstwerden lässt.

Der Glaube an die göttliche Einheit und damit zugleich an das göttliche Eins sein in und mit der Schöpfung findet seine Grundlage in der alevitischen Schöpfungsmythologie. Dort heiß es: „Nachdem der erhabene Gott Oben, Unten, Rechts, Links, Osten, Westen, Norden, Süden, Erde, Himmel, Mond, Sonne, Sterne, Planeten erschaffen hatte, erschuf er aus seiner vollkommenen Güte und aus seinem Großmut einen grünen Ozean. Diesem Ozean sandte er einen gebieterischen Blick (terbiye nazarı). Der Ozean geriet in heftige Bewegung und schlug Wellen und daraus entsprang eine Perle. Der erhabene Gott nahm die Perle und spaltete sie in zwei Teile. Die eine Hälfte der Perle wurde grünes und die andere Hälfte weißes Licht. Gott nahm das Licht (nur) und stellte es in ein Lämpchen, das die Form einer grünen Kuppel hatte. Das grüne Licht ist das Licht Muhammet Mustafas und das weiße Licht ist das Licht Murtaza Alis. Diese wurden vor allen anderen Seelen erschaffen. Dies wird nur den Weisen (arifler) bewusst.

Aleviten bringen diesen Glauben in der Form zur Sprache, dass sie sagen:

„Wir sind aus demselben Licht“.

Hak Muhammet Ali üçü de nurdur

Birini alma sen üçü de birdir.

Onların koyduğu doğru bir yoldur

(Hatayi)

Die Dreier strahlen dasselbe Licht aus.

Trenne sie nicht voneinander, denn es sind drei in einem.

Sie zeigten uns den richtigen Weg

„Muhammet holte den Rat“ sagt Ali.

(Hatayi)

(Übersetzung: Ismail Kaplan)

Hatayi betont hier die Untrennbarkeit und Gleichwertigkeit von Hak-Muhammet-Ali. Muhammet und Ali sind vollkommen und bleiben vollkommen. Sie zeigten den Menschen ihre Vollkommenheit in ihrer Lebensweise. Auch ihre Nachkommen, die zwölf Imame, sind von dem gleichen Licht erleuchtet. Deshalb verehren die Aleviten die 12 Imame als Symbole für diesen Glauben.

Yunus Emre beschreibt im folgenden Gedicht die Beständigkeit dieser Kraft:

Ich bin das Äußere und das Innere

Der Erste und der Letzte bin ich

Ich bin sein Ebenbild und

Mein Ebenbild liegt in seinem Wesen

Ich bin der Erhabene.

(Übersetzung: Ismail Kaplan)

Hem batiniyim, hem zahiriyim

Hem evvelim hem ahirim

Hem ben oyum hem o benim

Hem O kerim-i han benim.

(Yunus Emre)

Hatayi beschreibt die Gabe Gottes bei der Schöpfung als heilige Kraft wie folgt:

Ich als Licht wurde von einem Lämpchen zum anderen geworfen

wurde zur Erde gesandt und dann über die Erde zerstreut

Eine Weile war ich die Wahrheit und blieb bei Gott

Durch die Liebesfeuer im Herzen verbrannte ich und kam an.

Der zeitgenössische, in der Türkei sehr bekannte Dichter Aşık Veysel glaubt ebenfalls an das von Gott ausgegangene und immer weiter ausgehende ewige Licht und formuliert als seine Gotteserkenntnis:

Ich erkenne Dich, Du bist das Licht,

Du bist die Existenz selbst.

In allen Geschöpfen bist Du existent

(Übersetzung: Ismail Kaplan)

Bilirim aslını nursun gevhersin

Bütün mevcudatta her şeyde varsın

(Aşık Veysel)

Im Koran gibt es ähnliche Aussagen, wie beispielsweise „Wir (und damit ist Gott als der Sprecher gemeint) sind (dem Menschen) näher als seine Schlagader“, und „Gott hauchte dem Menschen seine Seele ein, nachdem er ihn geformt hatte“.

Es ist eine Kernaussage des alevitischen Glaubens, dass Gott die Menschen aus seiner eigenen, heiligen Substanz geschaffen hat. In diesem Sinne ist der Mensch dann nach alevitischer Ansicht selbst ein heiliges Geschöpf. Und deshalb wiederholen Aleviten sehr oft diese Erkenntnis ihres Glaubens in der Form des Spruches „Der Mensch ist in Gott und Gott ist im Menschen“

Viele alevitische Gelehrte und Dichter formulierten diese Schöpfungsglauben in dem Spruch: „En-el hak“ (ursprüngliche wörtliche Bedeutung: Ich bin die Wahrheit): Ich bin identisch mit Gott. Das heißt, ich bin sein Ebenbild und mein Ebenbild liegt in seinem Wesen umschlossen“. Hallac-ı Mansur (gest. 922) und Seyit Nesimi (gest. 1417) waren die berühmtesten Gelehrten der Aleviten – und beide wurden auf Betreiben orthodoxer Gelehrter als Gotteslästerer zum Tode verurteilt. Für den orthodoxen Islam war diese Vorstellung eines Eins seins mit Gott eine unerträgliche Gotteslästerung.

Der alevitische Dichter Aşık Daimi (1932-1983) drückte den Glauben der Teilhabe der Menschen an der Wahrheit in einem Gedicht so aus:

Ich bin der Spiegel des Universums

Denn ich bin ein Mensch.

Ich bin der Ozean der Wahrheit

Denn ich bin ein Mensch.

Der Mensch und die Wahrheit sind Eins

Was du suchst, findest du im Menschen

Der Mensch besteht aus Erkenntnissen

Denn ich bin ein Mensch.

Ich könnte die Thora schreiben

Die Bibel könnte ich in Verse fassen

Den verborgenen Gehalt des Korans erfühle ich

Denn ich bin ein Mensch.

Ich, Daimi, bin ein Trümmerhaufen

Ich bin die Erde unter den Füßen

Ich bin ein Instrument, durch dessen Klang Gottes Liebe erfahrbar wird,

Denn ich bin ein Mensch.

(Übersetzung: Ismail Kaplan)

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Kainatın aynasıyım

Mademki ben bir insanım

Hakkın varlık deryasıyım

Mademki ben bir insanım

İnsan hakta hak insanda

Ne ararsan var insanda

Çok marifet var insanda

Mademki ben bir insanım

Tevratı yazabilirim,

İncil`i dizebilirim Kuran`ı sezebilirim,

Mademki ben bir insanım.

Daimiyim harap benim

Ayaklara turap benim

Aşk ehline şarap benim

Mademki ben bir insanım

(Aşık Daimi)

Verwendete Quellen:

  • Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. (AABF), Das Alevitentum, Hrsg. AABF (verfasst von Ismail Kaplan), Köln 2004.